Home Aktuelles Wenn der Gerichtssaal zur Bühne wird: ein Trauerspiel in (jetzt) drei Akten

Wenn der Gerichtssaal zur Bühne wird: ein Trauerspiel in (jetzt) drei Akten

Lebensmittelretter-Prozess geht jetzt in die dritte Runde – völlig überforderte Richterin – „farblose“ Staatsanwältin zeigt sich „bockig“ – Klassenfahrt-Atmosphäre im Zuschauerraum – brillante Verteidigung

Lahnstein | 29. April 2022 | Willi Willig. Unglaublich. Skurril. Lachhaft. Peinlich. Stundenlang habe ich überlegt, wie ich meine Erlebnisse beim zweiten Prozesstag des „Lebensmittelretter“-Prozesses am Lahnsteiner Amtsgericht am gestrigen Tage in Worte fassen könnte. Ich habe sogar so lang überlegt, dass der Kollege von der Rhein-Lahn-Zeitung mir meine, am späten Abend endlich gefundene, Überschrift, vorweggenommen hat. Ich hätte diesen Prozess ebenfalls als „Farce“ bezeichnet, aber unter Kollegen macht man das nicht, da sucht man einen neuen Einstieg. Lassen sie uns gemeinsam herantasten, an diesen Prozess, bei dem ich nach wie vor davon überzeugt bin, dass das ganze kein Thema für den Gerichtssaal ist, schon gar nicht für ein (Provinz-)Amtsgericht. Und wenn ich diesen, eigentlich negativ besetzten Ausdruck, als sehr heimatverbundener Mensch und Medienschaffender benutze, dann betont er nur das, was selbst die Richterin im Verlauf des Prozesses geäußert hat – doch dazu später mehr.

Worum geht es?

Eigentlich immer noch um „gemeinschaftlich begangenen Hausfriedensbruch“. Am 4. Juli 2021 sollen die beiden Angeklagten Studenten Julia K. und Nils K. am Globus Lahnstein beim „containern“ erwischt worden sein. Weggeworfene Lebensmittel aus einer Mülltonne sollen sie an sich genommen haben. Aus einem umzäunten Bereich. Nach zwei Prozesstagen wissen wir jetzt zumindest eines: der „Wert“ dieses Mülls, beläuft sich auf einen Betrag von null bis maximal sechs Euro, dürfte aber eher in Richtung Null tendieren. Der Hausfriedensbruch an sich, ist ein so genanntes Antragsdelikt, es wird also nur nach Strafantrag des „Geschädigten“ verhandelt. Das Lahnsteiner Warenhaus musste die beiden Studenten also aktiv anzeigen.

Warum zwei Prozesstage?

So seltsam das klingt – weil der Prozess eigentlich eingestellt werden sollte. Dann hat aber die Staatsanwaltschaft darauf bestanden, das Verfahren wegen Hausfriedensbruchs nur „gegen Auflagen“ einzustellen, also bei Zahlung einer geringen Geldstrafe. Dieses „Angebot“ lehnte die Verteidigung ab, das machte weitere Zeugenvernehmungen und damit einen weiteren Prozesstag nötig.

Wie verlief der zweite Prozesstag?

Absolut chaotisch und einer Gerichtsverhandlung definitiv nicht angemessen. Das lag auch an den zahlreichen Unterstützern der Angeklagten im Zuschauerraum, die die, durch den Prozess gebotene Plattform natürlich liebend gerne für statements zur Lebensmittelverschwendung nutzen. Allerdings kam man sich auf den sehr begrenzt zur Verfügung stehenden Stühlen im Zuschauerraum schon vor, wie auf der hinteren Bank des Busses auf einer Klassenfahrt.  Meines Erachtens trifft die Hauptschuld an der Eskalation im Gerichtssaal aber die Vorsitzende Richterin. Sie wirkte schnell komplett überfordert, blätterte letztendlich nur noch aufgeregt suchend in den Prozessakten, lies sich von der brillanten Verteidigerin des Angeklagten geradezu vorführen und von den Unterstützern auf der Nase herumtanzen. Dabei hatte sie direkt zu Prozessbeginn ganz klar Ordnungsgeld bei Störungen, Applaus oder Lachen angekündigt – trotz zahlreicher Einwürfe aber nicht einmal daran erinnert, bzw. „Nägel mit Köpp“ gemacht, wie man hier so sagt. Doch das „Scheitern“ des zweiten Prozesstages nur an den Zuschauerzwischenrufen und dem Umgang damit, festzumachen, wird dem Verlauf nicht gerecht. War die Verhandlung gestern zunächst für eine Stunde angesetzt, dauerte sie letztlich mehr als vier Stunden. Überhaupt wirkte lediglich die Verteidigung – auch wieder abgestützt auf zwei Laien-Verteidigerinnen der Angeklagten Julia K – gut bis exzellent vorbereitet. Die Anwältin des Angeklagten führte sowohl die absolut „farblose“ Staatsanwältin, als auch die Vorsitzende Richterin vor. Der weitere Versuch einer Einstellung des Verfahrens wegen Hausfriedensbruchs, wurde durch die sonst nahezu wortlose Staatsanwältin stur blockiert – dann müsse sie „im öffentlichen Interesse“ neu wegen Diebstahls anklagen.

Die Vorhalte der Verteidigung

  • Geladen werden sollten drei weitere Zeugen. Davon konnten Staatsanwaltschaft und Gericht aber nur einen vorweisen, ein weiterer Zeuge der Polizei war der Verteidigung nicht bekannt gegeben worden, dass muss aber gemäß der Strafprozessordung erfolgen.
  • Der Abteilungsleiter Obst und Gemüse des Globus hat den Strafantrag unterzeichnet. Der Mann, der sich im Zeugenstand offensichtlich und nachvollziehbarerweise unwohl fühlte,  hätte das aber gar nicht gedurft. Dazu nötige Vollmachten lagen jedenfalls nicht vor.
  • Ohne korrekt umschreibende Anklage, könne man jetzt gar nicht wegen Diebstahls verhandeln – die umrissene Beschreibung aus der Hausfriedensbruchs-Anklage reiche da nicht aus. Es fehlen Angaben wie etwa, was überhaupt wem gestohlen worden sei.

Als die Richterin den fundiert begründeten Einwurf mit den Worten “Meiner Meinung nach reicht das aber“ zurückweist, stellt die Verteidigung wegen Befangenheit den Antrag, die Richterin aus dem Verfahren zu nehmen.

An diesem Punkt wird der „Prozess“ endgültig zur eingangs erwähnten “Farce“, wir können es aber auch gerne Trauerspiel nennen. Die Richterin unterbricht (erneut) und verlässt den Saal – trotz Hinweises der Verteidigerin, dass man aber gerne zunächst weiterverhandeln könne, der Antrag sei gemäß der vielzitierten StPO zunächst ja nur „zur Kenntnis zu nehmen“. Doch die Richterin unterbricht „für 15 Minuten“ und verschwindet – fast eine Stunde lang, ohne dass im Saal jemand informiert wurde. In der Zwischenzeit gibt es offenbar hektische Besprechungen im Lahnsteiner Amtsgericht, eine weitere Richterin, sie stellt sich auf Nachfrage der Verteidigung knapp vor und meint „innerhalb von 10 Minuten die Entscheidung über die Befangenheit zu treffen“. Die Nachfrage der Verteidigerin „Wie wollen sie das denn ohne eine Stellungnahme von mir tun?“, lässt die Beobachter im Saal schon wieder turbulente Szenen erwarten.

Das unrühmliche Ende

Nach weiteren 30 Minuten kehrt die Richterin zurück, erklärt, sie sei nicht befangen, und möchte munter weiterverhandeln, jetzt Hausfriedensbruch und Diebstahl, eventuell auch eins von beiden, so genau versteht das zu diesem Zeitpunkt niemand mehr. Mittendrin diskutiert sie die lautstarken Einwände aus dem Zuschauerraum sogar – und zwar direkt vor der Richterbank, weil die Zuhörer sich mittlerweile frei im Saal bewegen.

Alles das beobachtet ein stiller Polizeibeamter auf einem Stuhl zwischen Eingangstür und Staatsanwältin – nichts ahnend, dass seine Anwesenheit die Schlussphase des Verhandlungstages einläuten wird. „Da fällt mir grade auf, dass hier ein bewaffneter Polizeibeamter der rheinland-pfälzischen Polizei sitzt, hätte ich früher sehen können, aber ich war beschäftigt“, wirft die Verteidigerin in den Raum. Warum da kein Justizbeamter säße, verlangt sie zu wissen. Und bekommt zur Antwort: „Weil ich das verfügt habe – das ist Amtshilfe“, antwortet die Richterin. Da diese Verfügung der Verteidigung nicht vorliegt, wird auch sie, nicht enden wollend, verlesen. Nach vielen römisch nummerierten Punkten folgt der Frage der Verteidigerin dazu ausnahmsweise Stille im Gerichtsaal. „In welchem Stadium der Räumung befinden wir uns denn?“, fragt sie und bringt damit die Vorsitzende Richterin um den Rest an Fassung. Die Verfügung nennt in einem der nahezu zahllosen Unterpunkte eine mögliche Räumung des Gerichtssaals als einzigen Grund für Amtshilfe durch die Polizei. Noch schlimmer machte es die Richterin aber durch den Rechtfertigungsversuch, man sei nur „ein ganz kleines Amtsgericht mit wenigen Justizbeamten“, also einer völlig neuen Begründung.  Von den wenigen Justizbeamten des kleinen Amtsgerichts stehen aber gerade vier vor der Tür, die hat die Verteidigerin in der Prozesspause beim Rauchen getroffen.

Warum so ein Aufsehen um Polizei- oder Justizbeamte gemacht wird? Ist das nicht egal, fragt sich der Laie. Doch es wird schnell klar, worauf die Verteidigung abhebt: Polizei ist zusätzlich eigentlich nur anwesend, wenn Gewaltbereitschaft befürchtet wird – darin und in den rigorosen Durchsuchungen vor Betreten des Gebäudes, die aber offenbar nur die Unterstützer und Angeklagten betreffen, sieht die Verteidigung eine weitere Vorverurteilung, bzw. Befangenheit. Und in der Tat wirkt schon das Polizeiaufgebot vor dem Amtsgericht ohne die Gegendemonstranten des ersten Prozesstages etwas überzogen.

Endgültig im Chaos versinkt das Ende der Verhandlung wenige Minuten später, nachdem die Richterin die fehlerhafte Zeugenladung rechtfertigen möchte und abermals an der Verteidigerin scheitert, die die Strafprozessordnung auswendig zu kennen scheint. Die Diskussion gipfelt in der Frage der Anwältin, ob die Richterin eine andere Variante der StPO vorliegen habe. Dann greift die Richterin die Formulierung aus dem in den ersten Prozessminuten geäußerten Antragsbegründung auf und beendet das Trauerspiel mit den Worten „Ja, wenn das so ist, dann setze ich das Verfahren jetzt aus“.

Anmerkung des Autors:

Damit geht ein Verfahren in die Pause, dessen Lösung nur auf politischer Ebene getroffen werden kann. Im Bundestag. Nicht in einem „kleinen Amtsgericht“ in der Provinz. In den sozialen Medien werden Verlauf und Ansichten wieder stark polarisierend diskutiert werden. Auch der Verfasser dieses Artikels ist der Meinung, dass nicht einfach jeder über anderer Leute Zäune steigen darf, sei der Grund auch noch so moralisch wertvoll. Doch wenn ein solches Delikt schon unbedingt verhandelt werden muss, dann hat auch jeder den Anspruch auf einen ordentlichen Prozess. Und den regelt – unter anderem – die Strafprozessordung. Und an die müssen sich eben alle Seite halten. Großer Verlierer bleibt der Globus, der noch nicht einmal auf Gesprächsversuche eingeht, sogar jetzt noch bestünde die Möglichkeit den unsäglichen Strafantrag zurückzunehmen. Mittlerweile verliert aber auch noch die Gerichtsbarkeit – und zwar an Ansehen. Wie soll man davon ausgehen, dass dort in größeren und ganz großen Fällen Recht gesprochen wird, wenn bei „Peanuts“ schon solche Fehler gemacht werden?

Den Artikel zum ersten Prozesstag finden Sie hier