Müden/Mosel | 16. Dezember 2024 | Willi Willig. Ein ganz herzlicher Glückwunsch geht heute an das Team des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) Mosel-Saar-Lahn: es funktioniert! Nach zwei Probeläufen – ohne Schiff – am Samstag ist heute Morgen um kurz nach 8 Uhr mit der, mit Braugerste beladenen, niederländischen „Allegria“ das erste der oberhalb der defekten Moselschleuse Müden festsitzende Schiffe zum Notschleusen in die Kammer eingefahren.
Damit begann die „heiße Phase“ der Umsetzung eines Plans, der nach dem Unfall vom 8. Dezember, bei dem ein mit 1500 Tonnen Schrott beladenes Schiff ungebremst in das untere Schleusentor gekracht war. Bei dem Unfall wurden beide, jeweils 42 Tonnen schwere Torflügel aus den Verankerungen gerissen und in meterweit in die Schleuse gedrückt. Seitdem hängen – mittlerweile genau gezählte – 74 Schiffe oberhalb der Schleuse fest.
Und das wäre auch noch bis ungefähr Ende März so geblieben, wenn nicht
- ein ebenso genial wie kühner Plan in den Köpfen einiger WSA-Fachleute gereift wäre
- die Behördenleitung Mut, Selbstbewusstsein und Durchsetzungskraft bewiesen hätte, etwas nie zuvor Versuchtes in die Tat umzusetzen
- ein kompetentes Team bereit wäre in der Vorweihnachtszeit und über die Festtage hinaus im 24-Stunden-Betrieb anzupacken
Idee und Umsetzung
Wenn man kein Schleusentor mehr hat, muss man halt mit dem Revisionsverschluss aus neun, jeweils 1,25 Meter hohen und rund 4 Tonnen schweren Dammbalken als Ersatz arbeiten. In der ersten gedanklichen Variante soll die ursprünglich 170 Meter lange und 12 Meter breite für jeden Schleusenvorgang (auf Unterwasser-Niveau) leergepumpt werden, bevor die Dammbalken zur Ausfahrt eines Schiffes einzeln von einem Kran ausgehoben werden. Findige Praktiker ergänzen das System aber in der Planung bereits um einen Auslauf. Dazu werden Abstandsklötze unter dem untersten Dammbalken befestigt. Dadurch bleiben mehrere rund 15 Zentimeter hohe Schlitze, durch die das Wasser permanent abläuft. Solange das Wasser über das geöffnete Obertor einläuft, kommt mehr Wasser rein, als abläuft. Ist das Schiff in der Kammer und das Obertor wird geschlossen, beginnt der Wasserstand sofort zu sinken. So entfällt das Pumpen, das geschleuste Schiff braucht ungefähr 30 bis 45 Minuten für die „Fahrstuhlfahrt“ nach unten. Einzeln müssen dann die Dammbalken ausgehoben werden, die vier die unter der Wasserlinie liegen brauchen Taucherunterstützung für Ein- und Ausbau. Der Vorteil bei Schiffen mit geringem Tiefgang: die unterste Platte kann drinbleiben. Das spart Zeit. So auch am Montagmorgen.
Die Premiere
Die 80 Meter lange und 9,50 m breite „Allegria“ hat nur 2,52 m Tiefgang und ist auch aufgrund der Ladung, kostbare(!) Braugerste, für den ersten Durchgang geeignet. „Das sollte ein eher kleineres Schiff sein, am besten auch mit einer unproblematischen Ladung“, verrät Ulrich Zwinge vom WSA. Das Team WSA ist sich zwar „ziemlich sicher“, dass der Plan aufgeht, aber „es bleibt eine Anspannung“, verrät Zwinge. Da beim Startschuss um 8 Uhr heute Morgen der Revisionsverschluss noch vom Samstag eingebaut war musste nur noch die Kammer geflutet werden, dann kann die „Allegria“ einfahren. Marc und Marika van Weelden aus den Niederlanden sind mit dem Gütermotorschiff und der Familie überwiegend auf Rhein und Mosel unterwegs und lagen sogar noch einen Tag länger als der Rest vor Müden fest. Am Samstag, dem Tag vor dem Unfall, machen sie oberhalb der Schleuse fest, um das Wochenende an der Mosel zu ruhen. Durch den Unfall verlängert sich ihr Aufenthalt um eine Woche, ohne den Notschleusungsplan hätten das auch lange vier Monate werden können. Um 10.40 Uhr sind sie froh „wieder in Freiheit“ zu sein. Damit hat die Premiere übrigens nur etwas mehr als zweieinhalb Stunden gedauert – wohlgemerkt mit zeitsparenden Faktoren. Doch bis 17.30 Uhr folgen noch zwei weitere Schiffe – die „Allegria“ ist da mittlerweile schon kurz vor ihrem eigentlichen Ziel, dem Hafen Castrop-Rauxel am Rhein-Herne-Kanal. Bei etwas mehr als drei Stunden pro Schleusung liegt jetzt der Schnitt. „Wir denken, dass es mit Einbruch der Dunkelheit etwas langsamer wird. Es gibt zwar genug Licht, aber die Nachtarbeit ist doch etwas anderes“, erklärt Zwinge. Schiff Nummer Vier wird das erste „Nachtschiff“ der Notschleusungs-Serie.
Was passiert jetzt?
„Wir bleiben jetzt im 24 Stunden Dienst, bis alle Schiffe, die runter wollen, auch unten sind“, erklärt WSA-Chef Albert Schöpflin, der auch die WSA-Weihnachtsfeier abgesagt hat: „Wir können uns doch nicht hinsetzen und feiern, während hier Existenzen auf dem Spiel stehen. Dafür hat die Mannschaft aber vollstes Verständnis gehabt. Nur an Heiligabend ist mal eine Auszeit vorgesehen.“ Derzeit sieht es so aus als könnte der letzte Wunsch in Schöpflins Dienstzeit in Erfüllung gehen: wenn alles weiterhin so klappt sind alle Schiffe befreit, wenn er am 31. Dezember in den Ruhestand geht. 31 Dienstjahre hat er dann im WSA hinter sich, 22 als dessen Chef – mit dem herausforderndsten Ereignis am Schluss einer spannenden Zeit in einem Beruf, den er bis zur letzten Minute mit Herzblut auslebt. „Dann beginnt aber für das Team und meinen Nachfolger die eigentliche Arbeit – dann muss die Schleuse möglichst schnell repariert werden.“ Derzeit fahren an der Obermosel sogar noch einige leere Schiffe in Richtung Dillinger Hütte, um Ladung aufzunehmen. Möglichst viele Tonnen an Stahlprodukten sollen talwärts gebracht werden, solange notgeschleust werden kann. „Es ist nur die Talschleusung vorgesehen und auch da muss, nachdem die 74 Schiffe unten sind Schluss sein – dann geht es an die Reparatur“, erklärt Schöpflin. Für den 66-Jährigen könnte es in Müden auch noch den „Flashback“ zu seinen beruflichen Anfängen geben. Heute liefen die Planungen an um eine Pipeline rund um die Schleuse zu legen, Schöpflin war vor seinem Einstieg beim WSA nämlich Pipeline-Offizier bei der Bundeswehr und erklärt die nächste Idee. „Rund 20 Prozent des in Luxemburg benötigten Treibstoffs kommt über die Mosel. Jetzt soll über den Rhein bis ins Unterwasser von Müden mit Tankschiffen gefahren werden, deren Inhalt würde dann über die Pipeline und das WSA-Gelände auf im Oberwasser liegende Tankschiffe umgepumpt und nach Luxemburg gebracht, bis die Schleuse repariert ist. Der Entscheidungs- und Befehlsgewohnte ehemalige Offizier: „Ich habe grünes Licht gegeben. Warum auch nicht? Das ist wie beim Tankwagen, der ihnen Öl nach Hause bringt – nur eben mit größerem Durchmesser.“ Die Umsetzung würden bei Zustimmung durch die SGD die Luxemburger Spezialisten übernehmen / unterstützen, ein erstes Planungstreffen vor Ort gab es heute Morgen parallel zur zweiten Notschleusung. Weitere Umladungen sind derzeit nicht geplant, könnten aber ggf. für die Dillinger Hütte nötig werden.