Weisel/Rhein-Lahn-Kreis | 11. Mai 2024 | (ww). Ein Traktor gerät bei Arbeiten auf einem Feld in Brand. Durch ungünstige Windverhältnisse stehen wenig später sechs Hektar Wald in Flammen. Mittendrin ein Zeltlager mit 23 Kindern und drei Betreuern – es gibt zahlreiche Verletzte. Dieses Übungsszenario hielt heute 220 Einsatzkräfte – darunter den relativ neuen Waldbrand-Löschzug – aus dem Rhein-Lahn-Kreis in Atem.
Um 9.30 Uhr heult die Sirene in Weisel – die Aktiven der Feuerwehr sind aber schon lange im Gerätehaus in der Jahnstraße. Und nicht nur sie sind bereits da, sondern auch das Team, das die erste kreisweite Übung des Waldbrandlöschzuges des Rhein-Lahn-Kreises vorbereitet hat. Die Sirene gibt heute nur den erwarteten Startschuss, auch alle Einheiten aus dem Kreis, die Teil des vor zwei Jahren gegründeten, spezialisierten Zuges sind, haben die Gerätehäuser besetzt. Heute geht es nicht um Blaulicht und Martinshorn, heute geht es um die Zusammenarbeit der Einheiten aus allen Teilen des Kreises, heute geht es um Kommunikation, heute geht es darum Abläufe für den Einsatzfall zu optimieren.
Die Lage: auf einer Wiese außerhalb von Weisel ist ein Traktor in Brand geraten. Schnell greifen die Flammen auf das benachbarte Waldstück über. Ein durchaus realistisches Szenario, wenn man sich die Wald- und Vegetationsbrand-Einsätze der jüngeren Vergangenheit ins Gedächtnis ruft. Dichter Rauch weht um den Traktor und aus dem Wald, pyrotechnische Rauchkörper sorgen für einen „echten“ Eindruck am Einsatzort. Bislang ist die Einheit Weisel alleine vor Ort, die Nachbarwehren sind durch die Leitstelle mitalarmiert worden und „auf Anfahrt“. Ab jetzt tut die Übung das, was die Planer, das Team um den stellvertretenden Brand- und Katastrophenschutzinspekteur des Kreises, Lars Ritscher, sich vorgestellt hatten: sie entwickelt sich dynamisch, stellenweise sogar dynamischer als es so manchem Übungsteilnehmer gefällt, aber dazu später mehr.
Ritscher und sein Team haben bewusst nur ein Rahmen vorgegeben. Wie sich das ganze entwickelt, wer wo welche Aufgabe übernimmt und auch wie die eingespielten Lagen abgearbeitet werden, entscheiden die Einheitsführer am Einsatzort. Dass die entscheiden, die technische Einsatzleitung nicht im Gerätehaus, sondern unweit der ersten Einsatzstelle „im Grünen“ aufzbauen und zu betreiben, war genauso Teil der Einschätzung vor Ort, wie die improvisierte Rettung von 23 Kindern und drei Betreuern aus einem „Übungs“-Zeltlager. Dass in dem Zeltlager durch dichten Rauch Panik ausbricht, war geplant, auch das Kinder durch Stürze oder Brandverletzungen Hilfe brauchen. Dass aber die ersten Kräfte des Waldbrandlöschzuges das Camp finden, bevor die aufwändig mit Verletzungen „geschminkten“ Kinder überhaupt im Gelände verteilt waren, ist eher unter „nichts ändert sich so schnell, wie die Lage“ zu verbuchen.
Doch was zuerst nach „Husarenstück“ und Arbeitserleichterung für die Einsatzkräfte aussieht, machen die hochmotivierten jugendlichen Darsteller schnell zunichte. Sie sind für die nächste Stunde der sehr dynamische Teil der Übung. Schmerzenschreie, panische Fluchtversuche, Beschimpfungen der Rettungskräfte und in der Königsklasse sogar echt fließende Tränen, lassen in der handvoll Einsatzkräfte schnell den Wunsch entstehen, doch an der letzten Kreuzung im Wald in die andere Richtung abgebogen zu sein. Die durch die „Verletztendarstellung Bunte Übung“ sehr realitätsnah geschminkten Jugendfeuerwehrjungs und -mädels aus der VG Loreley, ziehen alle Register. Sie tun sogar so, als gingen sie via Handy in den sozialen Medien live, um auf die „unfähigen Rettungskräfte und den Skandal“ aufmerksam zu machen. Zu diesem Zeitpunkt wird die Frage, ob die schweißtreibende Waldbrandbekämpfung zu Fuß mit Feuerpatschen, Rucksäcken, langen Schläuchen und viel Handarbeit oder die Zeltlagerevakuierung der schwierigere Job ist, sicher neu bewertet.
Video: Julius Willig / einsatzfahrten-badems.de
Was sich an dieser Stelle aber definitiv zeigt, ist auch das, was Übungsleitung und auch BKI Guido Erler später bilanzieren: an der Kommunikation muss noch gearbeitet werden. Es dauert lange, im echten Einsatzfall eindeutig zu lange, bis die teilweise schwer verletzten Jugendlichen versorgt und evakuiert sind. Was sich aber ebenfalls zeigt: improvisieren können die erfahrenen Einsatzkräfte. Wenn in der Lage eben – warum auch immer – die Schnelleinsatzgruppe des Sanitätsdienstes nicht am Zeltlager eintrifft, dann werden die Kids eben erstversorgt und mit einem geländegängigen Mehrzweckfahrzeug aus der Gefahrenzone gebracht. Aber auch das ist echtes Übungsleben: genau hinter dem improvisierten Evakuierungsfahrzeug trifft eine Armada von Rettungswagen ein.
Derweil läuft im und rund um das sechs Hektar große Übungsgebiet der professionell geführte Löschangriff auf Hochtouren. Hier zeigt sich schnell, wie gut die einzelnen Einheiten in den vergangenen maximal zwei Jahren geübt haben, wie gut neu beschaffte oder auch in Eigeninitiative erstellte Ausrüstung funktioniert. Die Einheit Nassau zum Beispiel steuert ein selbst umgebauten Unimog als Waldbrandlöschfahrzeug zum kreisweiten Zug bei. Neue, leichtere Kleidung und der ebenfalls leichtere Helm, die das Arbeiten bei den, bei den meisten Einsätzen naturgemäß vorherrschenden hochsommerlichen Temperaturen, einfacher machen, machen sich bereits bei knapp über 20 Grad am heutigen Übungstag bezahlt.
Rund sechs Stunden nahm die Übung heute in Anspruch. Während sich überall im Land alles über ein verlängertes Wochenende freut, „opfern“ 220 Einsatzkräfte auch diesen Samstag, um im bevorstehenden Sommer gut auf Wald- und Vegetationsbrände vorbereitet zu sein. Durch die Bank weg, waren alle Teilnehmer hochmotiviert, auch wenn der Übungseinsatz für die meisten schweißtreibend und für die ersteintreffenden Kräfte am Zeltlager extrem nervenzehrend war, so das Beobachterfazit. Aber auch aus Sicht der Übungsleitung wurden vor allem die Punkte fachliche Kompetenz der einzelnen Teileinheiten sowie Zusammenarbeit der Kreiskomponente als erfolgreich bewertet werden. Dass das für die Kommunikation noch nicht komplett galt, fasst Übungsleiter Lars Ritscher folgerichtig – und mit einem Augenzwinkern – zusammen: „Es ist gut zu sehen, dass wir bei der ständig steigenden Zahl von Vegetations- und Waldbränden jetzt eine schlagkräftige Einheit quasi auf Knopfdruck bereit haben. Dass das Vorgehen durch weitere Übungen noch optimiert werden kann ist klar – es heißt ja schließlich auch Übung und nicht Könnung!“