-Ein Artikel von Willi Willig –
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Ahrtal / Überregional | 11. Juli 2024. In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 wälzte sich die todbringende Flutwelle durch das Ahrtal – mit verheerenden Folgen: 135 Menschen starben, hunderte wurden verletzt. Im Ahrtal wurden über 9.000 Gebäude und über 100 Brücken zerstört oder stark beschädigt, 17.000 Menschen im Tal verloren ihr gesamtes Hab und Gut oder große Teile davon. Insgesamt waren etwa 10.000 Unternehmen von der Flut betroffen. In der Nacht von Sonntag auf Montag jährt sich die Katastrophe nun zum dritten Mal. Und im Ahrtal gibt es – trotz vieler kleiner und größerer Erfolge – noch jede Menge zu tun. Nachdem die strafrechtliche Aufarbeitung gescheitert ist, liegt noch ein Funken Hoffnung auf dem mit Spannung erwarteten Ergebnis des Untersuchungsausschusses im Mainzer Landtag. Der hatte heute seine letzte Sitzung.
Die rechtliche Aufarbeitung der Katastrophe endete für viele Betroffene sprichwörtlich in einer solchen: im April dieses Jahres wurde das Ermittlungsverfahren gegen den damaligen Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler, dem von vielen Menschen im Tal heute noch vorgehalten wird, dass er sich in der Flutnacht eher um private Belange gekümmert habe, eingestellt. Drei Wochen nach der Flutkatastrophe hatte die Staatsanwaltschaft Koblenz ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung im Amt durch „Unterlassen“, eingeleitet. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft reichten die Ermittlungsergebnisse nicht für eine Anklage aus. Dabei war die Staatsanwaltschaft durchaus der Meinung, dass der frühere Landrat Fehler gemacht habe und seiner Verantwortung nicht gerecht wurde, indem er sich aus dem Katastrophenmanagement völlig herausgezogen hatte. Das reichte aber nach Ansicht des leitenden Stastsanwalts nicht für eine strafrechtliche Verurteilung aus.
Der Untersuchungsausschuss „Flutkatastrophe“ hatte sich am 1. Oktober 2021 konstituiert und kam zu insgesamt 47 Sitzungen zusammen. Der Ausschuss tagte insgesamt rund 294 Stunden. Davon entfielen rund 254 Stunden auf öffentliche Sitzungen zur Beweisaufnahme und rund 40 Stunden auf nicht öffentliche Sitzungen. Im Rahmen der öffentlichen Beweisaufnahme wurden 226 Zeugen, teilweise mehrfach vernommen. Hinzu kommen 23 Sachverständige, von denen drei jeweils dreimal angehört wurden. In elektronischer Form lagen dem Untersuchungsausschuss etwas über eine Million Dateien mit einem Umfang von über 560 Gigabyte vor. Es entstanden dabei über 7.000 Protokollseiten. Der heute beschlossene Abschlussbericht hat einen Umfang von rund 2.100 Seiten.
Für Schlagzeilen sorgten die mehrfachen Befragungen des damaligen Innenministers Roger Lewentz, der zwar letztlich zurücktreten musste, bis heute aber bei seiner Aussage blieb, auf den zunächst „verschwundenen“ Hubschraubervideos „nicht mehr als ein Hochwasser“ erkennen zu können – während in Schuld schon Häuser weggespült waren, wenige Kilometer ahraufwärts schon Menschen gestorben waren und wahrscheinlich viele bereits ums Überleben kämpften. Auch die dieser Tage zurückgetretene Ministerpräsidentin Malu Dreyer musste zweimal im Ausschuss zur Befragung antreten – Konsequenzen für ihr Amt hatte das keine, obwohl sich auch im Zusammenhang mit dem jetzt erfolgten Rücktritt viele Menschen aus dem Ahrtal beschwerten, dass bis heute noch nicht einmal eine Entschuldigung ihrerseits erfolgt sei. Für Aufregung und Empörung hatte ein veröffentlichtes Chatprotokoll zwischen Lewentz und der Landeschefin gesorgt – während Lewentz schrieb, dass „die Lage eskaliert, es möglicherweise Tote gebe“, hatte sich die – jetzt ehemalige – Ministerpräsidentin schlafen gelegt.
All dies und noch viel mehr war auch Gegenstand der Befragungen des Untersuchungsausschusses. Per Definition ist ein solcher U-Ausschuss „das scharfe Schwert der Opposition“, da hier die Minderheitspartei(en) auf Akteneinsicht bestehen und Zeugen vorladen können, die dann aussagen müssen. Die Arbeit des Auschusses endet mit einem Abschlussbericht. Dieser wurde heute – 1092 Tage nach der Flut und 1014 Tage nach Konstituierung des Ausschusses – beschlossen. Das teilt der Sprecher des Landtags heute der Presse mit. Was das Ergebnis des Berichts ist, allerdings noch nicht.
„Am 2. August soll der Bericht in elektronischer Fassung über das Offene Parlamentarische Auskunftssystem des Landtags (OPAL) veröffentlicht werden (abrufbar über die Website des Landtags unter www.landtag.rlp.de). Die abschließende parlamentarische Beratung des Abschlussberichts ist für das Septemberplenum am 18./19. September 2024 vorgesehen“, heißt es in der Meldung. Dann folgt die kurze Bilanz zu Zahlen, Daten und Fakten der U-Ausschuss-Arbeit, die in diesem Artikel bereits in den dritten Abschnitt integriert ist. Es folgt die wenig gehaltvolle Mitteilung „Der Abschlussbericht umfasst die Berichtsteile Einsetzung, Untersuchungsauftrag und Konstituierung, Verlauf und Verfahren, Zusammenfassung der Beweisaufnahme sowie Würdigung der Beweisaufnahme und Ergebnis der Untersuchung.“
Und dann folgt dieser Satz, der den Verfasser dieser Zeilen wieder einmal daran zweifeln lässt, ob der Untersuchungsausschuss jemals mehr als eine Statisten-Rolle gespielt hat.
„Dem Bericht als Anlage angeschlossen sind abweichende Bewertungen der Abgeordneten der Oppositionsfraktionen.“ Abweichende Bewertungen? Wovon weichen die denn ab? Und warum sind es eigentlich die Bewertungen der Oppositionsabgeordneten, die von was-auch-immer abweichen und nicht etwa die, der Abgeordneten der Regierungsparteien? Die waren ja – hörbar vom ersten Tag an – der zementierten Auffassung, dass seitens der Regierungsmitglieder keine Fehler gemacht wurden.
Am Schluss der heutigen Pressemitteilung ist der Ausschussvorsitzende Martin Haller (SPD) zitiert „Der Untersuchungsausschuss sieht seinen Untersuchungsauftrag als erfüllt an (…). Ich danke allen Mitgliedern des Ausschusses sowie allen Beteiligten für ihr herausragendes, überparteiliches, immer an unserer Aufgabe orientiertes und sicher oft kräftezehrendes Engagement. Allen war stets bewusst, dass wir hier nicht nur einen Job erledigen, sondern eine ganz besondere Verantwortung vor den vielen Opfern dieser furchtbaren Flutkatastrophe, ihren Familien und Freunden tragen. Diesem Anspruch wollten wir mit all unserer Kraft gerecht werden.“
Es tut mir leid, aber nach meinen Erlebnissen im Untersuchungsausschuss und der Pressemitteilung von heute befürchte ich, die Veröffentlichung des Berichts am 2. August sowie die parlametarische Beratung darüber im September, werden einmal mehr zur großen Entäuschung für Opfer und Hinterbliebene der größten Katastrophe in der Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz. Das von Herrn Haller zitierte „überparteiliche Engagement im Sinne der Opfer, ihrer Familien und Freunde“ konnte ich jedenfalls während meiner Besuche im Untersuchungsausschuss und gleich zwei Vorladungen zur Befragung nicht erkennen. Zumindest nicht auf Seiten der Regierungsparteien. Ich lasse mich aber gerne noch vom Gegenteil überzeugen. Willi Willig
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