Home » Für uns begann der Weltuntergang zwischen Rech und Dernau

Für uns begann der Weltuntergang zwischen Rech und Dernau

-Ein kommentierender Rückblick auf die Flutnacht mit persönlichen Eindrücken und Einschätzungen-

Autor: Willi Willig

Genau zwei Jahre ist es jetzt her. Sogar ziemlich genau auf die Minute. Aber es lässt einen einfach nicht los – obwohl wir ja eigentlich nur Zaungäste waren. Zurzeit wird viel über das Ahrtal geredet und viel besucht, auch Politiker geben sich wieder öfter die Ehre. Wiederaufbauerfolge werden gefeiert, aber auch Fragen werden laut, warum EU-Geld nicht da ankommt, wo es hin soll, warum einzelne immernoch gar nichts haben, im Rohbau leben, während andere lange fertig sind. Mein persönlicher Eindruck ist der: es ist immernoch viel zu wenig passiert im Tal. Viel zu viel Energie wird verschwendet um Verantwortliche zu finden, die – ich lehne mich mal weit aus dem Fenster – sowieso keine Folgen zu befürchten haben werden. Viel zu viel Vorschriften kosten wertvolle Zeit für den Wiederaufbau. Warum maße ich mir an, das zu beurteilen? Weil „das Tal“ und ich eine ganz eigene Verbindung haben. Und die beschäftigt mich heute mal wieder auf ihre ganz eigene Weise.

Ich habe unseren Teil dieser Geschichte – der definitiv unbedeutend ist im Vergleich zu den hunderten Schicksalen, zerstörten Existenzen und Tragödien der Flutnacht und der der inzwischen 24 Folgemonate – inzwischen hunderte Male erzählt, mehrmals niedergeschrieben und war gezwungen sie sogar zweimal im Untersuchungsausschuss wiederzugeben. Für die, die sie wirklich noch gar nicht kennen, versuche ich es einmal mit einer Kurzvariante:

Am Abend des 14. Juli 2021 war ich nach mehreren Hinweisen auf einen Hochwasser-Großeinsatz auf dem Weg zur Berichterstattung ins Ahrtal. Auf dem Weg dorthin habe ich mit dem mittlerweile ehemaligen Innenminister Roger Lewentz telefoniert um, wie üblich bei größeren „Lagen“, Informationen aus erster Hand zu bekommen. Unser Ex-Innenminister hatte sich ein „Bild von der Lage im Ahrtal gemacht“ und gab mir auf meine Frage hin den Tipp, nach Dorsel und Schuld zu fahren. Von beiden Orten hatte ich vorher noch nie gehört. Dort sei die Lage „katastrophal und wirklich schlimm“, Schuld sei besonders hart getroffen. Auf einem Campingplatz bei Dorsel hätten Menschen von den Dächern ihrer Wohnwagen gerettet werden müssen, erzählte mir Lewentz. Danach haben wir uns mit Navi-Unterstützung auf den Weg nach Schuld gemacht, laut Navi führte der Weg nach Dorsel ohnehin über Schuld. Weiter ahraufwärts als nach Rech kamen wir aber am Abend des 14. Juli nicht mehr – denn da begann gerade die Welt unterzugehen, deutlich spürbar war das aber spätestens auf der Rückfahrt nach Dernau.

Heute weiß ich, dass wir damit mega Glück hatten – wir, weil mein damals 15-Jähriger Sohn an dem Abend mit von der Partie war. Wären wir noch über Rech hinaus gekommen, möglicherweise sogar noch bis Altenahr, Kreuzberg oder sogar noch über Ahrbrück hinaus, wären wir mitten hinein gefahren in die entgegenkommende Flutwelle. Heute weiß man das. Damals dachten wir, dachten die meisten: das war es schon, die viel diskutierte Marke von 2016 war ja schon überschritten. Wie oft hörten wir an diesem verhängnisvollen Abend den Satz: „Das ist schon über der Höchstmarke, woher soll denn da noch mehr Wasser kommen?“

Der erhaltene Teil des Livevideos von der Nepomukbrücke:

Um 20.44 Uhr begann die oben eingefügte erste Live-Reportage von der Nepomukbrücke in Rech. Die Szene mit dem zermalmten Wohnwagen ist mittlerweile auf fast jedem Sender mindestens einmal gelaufen. Irgendwann bricht das Livevideo ab, die Technik hat im Regen wohl mal kurz den Dienst eingestellt. Wann wir aus Rech wieder zurück talabwärts gefahren sind kann ich nicht genau sagen. Jedenfalls keine Minute zu spät. Wir waren die letzten, die die Straße nach Dernau (O-Ton Feuerwehrmann in Rech, als das Ahrufer dort evakuiert wurde: „Da stand noch nie Wasser drauf, die kannst du fahren“) an diesem Abend gefahren sind. Und wir sind nur losgefahren, weil mein Sohn damals darauf bestand. „Wir fahren jetzt“, hat er gesagt. Wäre ich alleine unterwegs gewesen, wäre ich ohl noch geblieben. Dass der Touran, den ich damals gefahren bin, über solche Watfähigkeit (Fähigkeit Wasser zu durchfahren) verfügt, hätte ich nie gedacht – das Wasser schwappte mehr als einmal auf die Motorhaube, seltsamerweise hat aber nur ein Scheinwerfer den Geist aufgegeben.

Auch von der – mir immernoch unbekannten – Frau, die mit Kindern zu Fuß ihrem Mann in Richtung Dernau entgegen gehen wollte, und dabei auf einer „Insel“ auf der B267 strandete, habe ich oft erzählt. Wir haben sie eingepackt und bis Dernau mitgenommen. An der Tankstelle am Ortsausgang Richtung Dernau gab es die Familienzusammenführung, die uns dann auch noch den Weg nach Bad Neuenahr rettete. In Dernau wollte man uns nämlich schon auf das Dach der Tanke oder in den Weinberg evakuieren. Dass das Tankstellendach später selbst unter Wasser stand ist mittlerweile auch bekannt. Dank der Ortskenntnis des Mannes, dessen Namen ich bis heute nicht kenne (ich hab ganz einfach vergessen zu fragen) gelangten wir durch die Weinberge bis nach Bad Neuenahr.

Wir blieben noch bis 2 Uhr in der Nacht der Flut durch puren Zufall immer einen Schritt voraus, einige Meter über dem Scheitel oder die entscheidenden Meter von der Ahr entfernt. Ohne das Ausmaß des Geschehens wirklich zu erahnen, obwohl wir teilweise nur eine Straße entfernt waren, während Menschen um ihr Leben kämpften. 136 Menschen blieb dieses Glück verwehrt.

 

Weitere kommentierende 56aktuell-Artikel zum Thema: 

Der Vertuschungsausschuss

Neues aus dem Verteidigungsministerium